Behinderung und Talent

Behinderung und Talent
"Zukunft für Kinder die aus dem Rahmen fallen"
Köln, 2004 - video



 

Vortrag von Georg Kühlewind

Köln, 2004

Behinderung und Talent

Zukunft für Kinder, die aus dem Rahmen fallen

Sehr verehrte Damen und Herren!

Nach so vielen anregenden Vorträgen bleibt mir jetzt nicht viel übrig, als die Brosamen aufzulesen, die vom Tisch gefallen sind. Und wie Sie wissen, aus dem Neuen Testament, die Hunde haben auch etwas damit zu tun, die essen sie. Andererseits bleibt mir auch noch, dass ich die Lücken zu füllen versuche, die in diesen Vorträgen noch verblieben sind. So hat sich dieser Vormittag jetzt gestaltet.

Der erste Brosame bezieht sich auf die Gehirnforschung. Ich bin sehr froh, dass die Gehirnforschung davon abgekommen ist, das Gehirn für verantwortlich zu halten. Prof. Hüther hat ein Buch geschrieben, der Titel lautet fast genau: Gebrauchsanweisung an das Gehirn. Und meine Frage, also der hier jetzt aktuelle Brosame, lautet: Wer benutzt das Gehirn? Wer ist das? Denn in den Vorträgen, auch in den Büchern heißt es immer: „der Mensch“ erlebt etwas, und es wirkt sich aus auf sein Gehirn. Verstehen Sie das? Oder es heißt: „wir“ erleben, „man“ erlebt, und das beeinflusst das Gehirn. Ich möchte einfach nur die Frage stellen, wer ist dieser geheimnisvolle „Benutzer“ des Gehirns? Das ist, glaube ich, eine grundlegende Frage, die mit allen Vorträgen zu tun hat, gerade auch mit dem, was Frau Vogt hier vorgetragen hat über den Innenraum. Rilke spricht einmal vom Welt-Innenraum, und das meint, dass unser Innenraum zugleich die ganze Welt umfasst. Damit steht er der Auffassung von Steiner, oder auch von Jean Gebser sehr nahe. Und wenn man jetzt diese Frage stellt, wer benutzt das Gehirn, dann trifft man im Weiteren auf das Problem des kausalen Systems. Der Mensch ist – ob Sie das nun hören wollen oder nicht –, der Mensch ist kein kausales System. Der Sachverhalt ist deswegen kompliziert, weil man teilweise sehr gut weiß, dass er ein kausales System sein kann, nämlich, als Gewohnheits-Mensch, oder als Kram-Mensch. Ich nenne ihn Kram-Mensch. Er sammelt Kram in seinem Rucksack, und nennt das dann später „ich“, der Kram tritt als „ich“ ins Bewusstsein. Das ist natürlich ein vorläufiges Ich. Ich nenne es „Mich-lein“, nicht etwa im Anklang an Michael. Es ist sehr wichtig, dass wir es beobachten können, dieses Mich-lein, den Kram-Menschen, den Gewohnheits-Menschen, den Erinnerungs-Menschen. Die große Frage ist: wer beobachtet das? Wir wissen alle von diesem Kram-Menschen. Wer hat ihn beobachtet? War es der Kram-Mensch selber, oder gibt es vielleicht ein anderes Ich, oder Selbst? Im Zen-Buddhismus geht man davon aus, im Westen geht man davon aus. Aus der Gehirnforschung hat sich ergeben, dass jemand dieses Gehirn benutzt. 30 Jahre ist es her, dass ein Gehirnforscher, John C. Eccles, Nobelpreis-Träger, und ein Philosoph, Karl Popper, ebenfalls Nobelpreis-Träger, gemeinsam ein Buch geschrieben haben, dessen Titel ursprünglich lautet: The self and its brain - Das Ich und sein Gehirn. Es ist ein großes Buch.

Ich komme jetzt zu der anderen Frage: Wo ist der Mensch nicht kausal? Das hat Frau Vogt hier angedeutet. Dort, wo er schöpferisch wird. Dass man schöpferisch wird, dass man ein Gedicht schreibt, eine Symphonie schreibt, ein Bild mahlt, kann nicht begründet werden, obwohl das immer wieder versucht wird. Man könnte es mit mal mit Goethes Schaffen probieren. Er war sehr pedantisch und hat alle Rechnungen des Haushaltes aufbewahrt. Deshalb wissen wir, wieviel in diesem Haus an gutem Rhein-Wein getrunken wurde. Auf Goethe entfallen täglich etwa zwei und ein halber Liter. Aus Eckermann weiß man, wie viele Gäste es gab. Dann nimmt man an, dass der Wein gleichmäßig unter die Gäste verteilt wird, so bleiben für Goethe mehr als zwei Liter. Daraus kann man dann tiefschürfende Theorien entwickeln, warum er dieses und jenes Werk geschrieben hat – natürlich alles Quatsch. Aber für Dissertationen bietet sich hier ein weites Feld.

Zurück zum kausalen System. Eigentlich ist das Mich-lein weitgehend kausal, berechenbar. Darauf beruhen die meisten Therapien und Psychologien. Diese ziehen alle nicht in Betracht, dass man nie wissen kann, wann das Mich-lein für einen Augenblick aufgibt und der schöpferische Mensch erscheint. Deshalb sind diese Berechnungen nicht sehr zuverlässig. Man kann nie wissen, wann der Unberechenbare sich zeigt. Ich meine jetzt nicht einen, dem man nicht vertrauen kann, so einer ist auch unberechenbar, sondern den schöpferisch Unberechenbaren. Wenn er plötzlich erscheint, mitten im Schlamassel taucht er auf, dann gehen alle kausalen Gedanken sozusagen zugrunde, sie sind nicht mehr gültig.

Ich muss Ihnen etwas dazu erzählen, dass man den Menschen nicht mit Worten begreifen kann. Die Erzählung handelt davon, dass man nicht einmal sagen kann, warum jemand jemanden liebt. Ich meine jetzt Liebe, und nicht etwas anderes. Verstehen Sie, was ich jetzt meine? Die Geschichte habe ich von einem amerikanischen Freund gehört. Er hat eine Freundin, ein Girlfriend. Sie war nicht gerade die Gescheiteste. Einmal hat sie gefragt: Liebst du mich? Er sagte, ja, natürlich. Warum? Ja … weil du so schön bist. Hm, sagt sie, und wenn ich nicht so schön wäre? Ja, dann würde ich dich auch lieben. Warum? Weil du so gut bist. Ja, und wenn ich nicht so gut wäre? Weil du so klug bist. Und wenn ich nicht so klug wäre? So geht es immer weiter, die letzte Frage war: wenn ich eine andere wäre? Würdest du mich auch dann lieben? Mein Freund sagte: „I felt, I am in trouble“. Aber was sagt uns diese Geschichte? Sie besagt: wenn man begründen kann, warum man jemanden liebt, ist es schon verdächtig, dann ist es nicht die ganze Liebe.

Ich komme zu einem weiteren Aspekt: Von Beruf bin ich Chemiker, Physiko-Chemiker, oder ich war es zumindest. Und deshalb interessiert mich die Chemie des Gehirns. Ich sehe, dass man durch die Chemie des Gehirns, wenn da Unregelmäßigkeiten auftreten, das Verhalten des Menschen erklären will. Ich hab‘ das nie ganz verstanden. Es gibt doch sehr wenige Menschen, die denken können: ich bin traurig, weil ich weine, ich weine, und das verursacht meine Traurigkeit. Können Sie das erfassen? Und jetzt zum Gehirn: Weil das Gehirn zu viel Wutamin produziert, deshalb bin ich wütend. Verstehen Sie? Es packt mich die Wut, zu viel Wutamin. Und wenn das Gehirn zu viele Stressdine produziert, fühle ich Stress, und mein Frustralleib kommt in Schwingungen. Und wenn die Schwingungen nicht dem entsprechen, was die Pseudosophie für diesen Wochentag vorsieht, wird alles noch schlimmer. So wird wissenschaftlich argumentiert. Wenn im Gehirn die Chemie nicht stimmt, zu viel Wutamin produziert wird, dann muss man es chemisch behandeln, und ich werde nicht mehr wütend. Es entspricht dem Schema: ich bin traurig, ich weine, und man behandelt die Tränendrüsen, damit ich nicht mehr traurig werde. Können Sie sich das vorstellen? Mehr wollte darüber nicht sagen.

Natürlich stellt sich hier die große Frage, die in allen Vorträgen eigentlich implizit schon angeklungen ist: warum, die allgemeine Frage, warum? Können Sie das verstehen? Warum? Jetzt können wir sie konkretisieren: warum verhalten wir uns gegenüber dieser neuen Kindergeneration so, wie wir das tun. Die Anwesenden sind offensichtlich Ausnahmen, sonst wären Sie bei dem ersten, spätestens beim zweiten Vortrag weggelaufen. Die Antwort kommt von Goethe, im Wilhelm Meister, pädagogische Provinz, heißt es: Jeder Mensch ist beschränkt genug, um andere zu seinem Ebenbild erziehen zu wollen. Goethe, fantastisch, zu seiner Zeit wusste er das schon.

Ich möchte Ihnen ein Zitat vorlesen, es kommt aus dem Zen-Buddhismus, von einem heutigen japanischen Philosophen, kann man sagen, dessen Namen ich leider nicht präsent habe. Es schließt unmittelbar an das an, was Frau Vogt hier erwähnt hat, und hat des weiteren Bezug zu einem Thema, auf das ich am Ende meiner Ausführungen noch eingehen werde, das Entlernen. Der Ausdruck stammt von mir, im Englischen ist es leichter auszudrücken: unlearning. Ich verrate noch nicht, was das ist. Darauf bezieht sich jetzt dieses Zitat: „Sie können die Dinge verstehen durch ein Wissen, das von anderen herrührt. Dann ist ihr Verständnis nicht Ihr Verständnis. Sie müssten vor allen Dingen verstehen ohne Bezug auf das, was andere gesagt haben. Das unmittelbare Verstehen ist der einzige Weg, durch den Sie ein schöpferisches Leben führen können.“ Unmittelbares Verstehen bedeutet, alles so anzugehen, als ob wir ihm zum ersten Mal begegnen würden. Damit ist überhaupt nicht gesagt, dass wir nichts lernen müssten. Bitte verstehen Sie das auch wirklich genau. Wir müssen lernen, damit wir etwas zu vergessen haben, das ist mein Ernst. Wenn Sie nämlich nichts lernen, dann haben Sie keine Strukturen, keine strukturbildenden Fähigkeiten in sich. Deshalb müssen Sie auch die vier Temperamente sorgfältig erlernen, damit Sie entdecken können, dass sie heute nicht mehr einschlägig sind. Aber durch den Lernprozess haben Sie die Sensitivität erworben, einen Menschen anzuschauen im Hinblick auf das, was früher Temperament genannt wurde. Ist das verständlich? Sie müssen also sehr viel Unsinn erlernen, z.B. wenn Sie Therapeut werden wollen, müssen Sie durch einen riesigen Haufen von Abfall gehen, ihn durchwühlen, Ihren Weg bahnen, nicht um das Gelernte verwenden, das ist fast unmöglich, sondern damit Sie eine strukturbildende Kraft in sich aufbauen. Das ist übrigens meiner Ansicht nach, Sie können widersprechen, wenn Sie wollen, der Grundpfeiler der Waldorfpädagogik. Nämlich die drei Schritte, dass man etwas erst mit dem Willen, dann mit dem Fühlen, zuletzt auch noch mit dem Denken erfasst. Dadurch, durch diese drei Schritte wird das Gelernte am ehesten aufgelöst ins Können. Verstehen Sie das? Wir können unseren Schülern nicht unmittelbar Fähigkeiten vermitteln. Ich kann nicht sagen, jetzt vermittele ich die Fähigkeit zum Multiplizieren. Es geht nur so, dass ich Beispiele gebe. Und dann müssten sich diese Beispiele auflösen, vergessen werden, damit die allgemeine Fähigkeit, nicht nur die einzelnen gegebenen Beispiele zu lösen, sondern ein umfassenderes Können entsteht. Das ist der Weg. Etwas Wichtiges ist dabei zu berücksichtigen: was man nur mit dem Denken begreift, wird sich am schwersten auflösen. Ein Beispiel: Wenn wir eine Fremdsprache erlernen, lernen wir die Grammatik meistens bewusst. Wenn Sie aber die Grammatik nicht vergessen, werden sie eine Fremdsprache niemals fließend sprechen können. Die Grammatik muss in das Fühlen einsinken, und dadurch wird der Wille, der Sprechwille geleitet. Dann können Sie fließend sprechen. Es gibt auch Menschen, die nie Grammatik lernen, z.B. ich, aber meistens lernen wir die Grammatik. Die Kinder erlernen die Muttersprache ohne jegliche grammatischen Kenntnisse, auch Begriffe haben sie nicht und sprechen doch grammatisch korrekt, mit zweieinhalb Jahren. Als Ungar höre ich häufig, das Ungarische sei eine fürchterlich schwierige Sprache. Schwierig? Ein dreijähriges Kind in Ungarn spricht sie fließend.

Ich möchte noch etwas Überraschendes ausführen. Ich bin ein alter Mensch, und deshalb genieße ich Narrenfreiheit. Warum ich das erwähne, ist, weil ich mich gut zurückerinnern kann, wie es vor 50 Jahren war. Damals war ein Beruf, der heute floriert, auf der ganzen Erde nicht zu finden. Wissen Sie, welchen Beruf ich meine? Konflikt-Manager. Es gab Konflikte, aber nicht so viele, dass man ein Konflikt-Management überhaupt einrichten musste, es gab keines. Es genügte der Pfarrer oder der Notar, um Konflikte, wenn nötig, zu schlichten. Warum gibt es heute so viele Konflikte? Weil wir nicht in dem Maße voneinander getrennt sind, wie wir noch vor 50 Jahren voneinander getrennt waren, und wir halten diese Nähe nicht aus. Wir machen so [macht eine abwehrende Gebärde], eine typische autistische Gebärde. Dadurch entstehen Konflikte, und deshalb gibt es die Konflikt-Manager. Für die sophischen Eingeweihten: es gibt einen Vortrag von Steiner: Soziale und antisoziale Triebe. Da finden Sie das ausgebreitet, diese ganze Geschichte. Wir sind offener, als Erwachsene vor 50 Jahren durchschnittlich waren. Dieser Ausdruck „Offenheit“ kommt jetzt sehr oft bei mir vor, diese neue Kindergeneration ist nämlich viel offener, als wir es bei Kindern gewohnt sind. Ich versuche jetzt zu schildern, was Offenheit bedeutet: Die Kleinkinder sind ganz offen. Das sieht man an folgendem: Wenn Sie die selten erörterte Frage stellen, wie erfassen die Kleinkinder beim Spracherwerb die Bedeutung der ersten 1000 Wörter? Verstehen Sie, was ich frage? Die Kinder können nachahmen, das ist ein Wunder, und man könnte darüber sehr viel sprechen. Aber woher wissen sie, was ein Wort bedeutet? Man erklärt es nicht, sie könnten ja das Erklären gar nicht verstehen, vor allem bei solchen Wörtern, die man nicht zeigen kann, z. B. „zum“, oder „wie“. Wie erklären Sie das einem Kind? Und es versteht es doch. Auch „doch“, „oder“ und „vielleicht“ sind solche Wörter. Wie erklären Sie „vielleicht“? Es ist schon schwierig.

Aber auch mit dem Zeigen geht es nicht besser [zeigt auf die Tafel]. Ich sage „Tafel“, „dunkelgrün“, „flach“, „viereckig“, „Holz“. Woher weiß das Kind, worauf ich zeige? War das verständlich? Nun, es ist einfach. Die Antwort kommt einerseits aus der Geistesforschung, andererseits aus der Kinderpsychologie. Mitte des 20. Jahrhunderts haben insbesondere französische Kinderpsychologen die Frage, woher das Kind die Bedeutung der Wörter weiß, beantwortet: sie leben nicht getrennt von dem Bewusstsein der Umgebung. Das heißt: Das Kind fühlt, was die Mutter sagen will, dann hört es die akustischen Zeichen, und dann weiß es, was die akustischen Zeichen bedeuten. Man kann, aber muss in dieser Fragestellung nicht geisteswissenschaftlich vorgehen, französische Psychologen wussten es bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts, so einer wie Merleau-Ponty oder Guillaume, sie haben das beschrieben. Das Kind ist nicht getrennt vom Bewusstsein der Umgebung, es lebt in einem gemeinsamen Bewusstsein. Es ist auch nicht getrennt von der Welt, es lebt nicht in dualistischer Weise: hier bin ich, und dort ist die Welt, sondern es lebt in Einheit mit dieser Welt, es trennt sich nicht ab. Wir erleben das manchmal, wenn wir uns mit etwas identifizieren, z. B. im Theater, wo wir uns mit der Handlung identifizieren – wenn wir das können. Dann zeigt sich, dass das im Fühlen geschieht. Am Ende müssen wir unsere Tränen trocknen, obwohl wir haargenau wissen, dass sie gar nicht gestorben sind, sie kommen gleich zurück und verbeugen sich. Außerdem wissen wir, das ist eine Fiktion, das hat der Shakespeare sich ausgedacht, und drittens haben wir das Stück schon zehnmal gesehen, also ist es nicht einmal eine Überraschung. Und trotzdem gehen wir ins Theater, damit wir diese Tränen vergießen. Weil wir uns selbst dabei vergessen. Wir vergessen den, der da auf einem unbequemen Sessel sitzt. Wir vergessen unsere Sorgen, Kopfweh, Zahnweh, alles Mögliche, auch den Nachbarn, der bei den Pianissimos beginnt seine Bonbons auszupacken. Unlängst war ich in New York im Theater. Bevor das Stück begann, hieß es über Megafon, „bitte schalten Sie Ihre Handys aus, und wenn Sie Bonbons auspacken möchten, tun Sie es jetzt bevor das Stück beginnt“. Wunderbar, sie denken an alles.

Also diese gelegentliche Selbstvergessenheit ist uns geblieben, das Kind lebt immer in Selbstvergessenheit, das Mich-lein ist noch nicht da, es lebt zusammen mit der ganzen Welt. Man könnte auch sagen: es braucht nichts zu vergessen, als gibt noch nicht das, was im Selbstvergessen zu vergessen wäre. Der Wendepunk kommt, wenn das Kind beginnt in erster Person zu sprechen. Sie wissen alle, dass Kinder, wenn sie zu sprechen beginnen, in dritter Person von sich sprechen. „Susanne möchte Vanille-Eis“– wie die Indianer bei Karl May. „Winnetou ist dein Freund“. Ich habe eine Tochter, die hat in zweiter Person von sich gesprochen. Sie sagt: „Du gehst hinaus“ und geht selbst hinaus. Und dann plötzlich, ziemlich rasch sagen sie „ich“, „mich“, „mein“, „mir“, diese Pronomina der ersten Person. Worauf bezieht sich das? Es bezieht sich auf die Leiblichkeit, „Ich“ [deutet auf seine Brust]. Wenn man Sie fragt, zum Beispiel, wo sind Sie, wie lautet Ihre Antwort? Hier [führt die Hände zur Brust]. Es wäre schwierig, das näher zu betrachten, zu fragen, wo innerhalb der Haut – das machen wir jetzt nicht. Es ist eine ziemlich schwierige Vorstellung. Thomas von Aquin wusste, was nicht räumlich ist, kann man nicht lokalisieren, das ist nicht irgendwo. Das bedeutet: Alle die Weisheiten, die bisher gesagt und geschrieben worden sind, haben hier in meiner Hemden-Tasche Platz, und alle künftigen Weisheiten auch. Weil Bedeutungen und Gedanken keine räumliche Größe haben: Man kann nicht zeigen, wie groß ein Gedanke ist, und man kann auch nicht lokalisieren, wo er ist. Also, es kommt dieser Wendepunkt, und von da an fühlt das Kind sich in der Leiblichkeit. In der Psychologie heißt es Autoperzeption oder Propriozeption. Und das ist eine komische Sache, weil wir eigentlich nie den anatomischen Körper empfinden. Das heißt, wenn Sie Kopfweh haben, ist die Erfahrung, da drinnen im Kopf ist nicht alles leer, sondern da gibt es etwas, was weh tun kann. Aber wie das Gehirn aussieht, das erfahren Sie nicht durch Kopfweh. Nie haben Sie eine direkte Erfahrung davon. Da greift die gute alte Fleischhauer-Methode: aufschneiden und nachschauen, fotografieren usw. Sprechen Sie mit einem Menschen, der keine Anatomie gelernt hat, der nichts über Anatomie weiß und Bauchweh hat. Dass der Magen so ein kleiner Sack ist, diese Kenntnis kommt nicht aus der Erfahrung des Magenschmerzes zustande. Und wenn man so einem Menschen sagt, „Ja, und an diesem Säckchen hängt noch eine zwölf Meter lange Schlange“, wird er antworten: „Bei mir nicht, bei dir vielleicht“. Das bedeutet, unsere Körpererfahrung, unser Körpergefühl ist nicht erkennend, was wir empfinden, ist eine Empfindung, nichts weiter. Wir empfinden nichts Anatomisches, nichts von dem, was wir in der Anatomie oder Physiologie kennenlernen. Aber dadurch, dass diese Körperempfindung entsteht, geschieht die Abtrennung von der Welt, zugleich von dem Bewusstsein der Umgebung, beginnt die Egoität sich auszubilden. Wissen Sie, was das ist? Ist hier jemand, der nicht weiß, was Egoismus ist? Melden Sie sich! Ich kann es sowieso nicht erklären.

Also, die Offenheit wird stark eingeschränkt – normalerweise. Diese Kinder aber, mit denen wir zu tun haben, und wir haben eine ganze Palette… Gestern hat jemand gesagt, es gibt mehrere Syndrome. In Amerika werden 78 Disorders aufgelistet, das sind die Syndrome. Jedes Kind kann in eine Disorder eingeordnet werden, aber das ist nebensächlich. Das Phänomen ist da. Eine Kindergeneration ist nicht so, wie wir es gewohnt sind. Und das gibt uns Probleme auf. Und weil wir Probleme mit diesen Kindern haben, haben die Kinder mit sich oder mit uns Probleme, oder auch beides. Hinsichtlich der Offenheit hat sich etwas verändert. Die Kinder sind nicht mehr ganz offen, auch nicht ganz abgeschlossen, eine Änderung in der Welt, in der Menschheit. Es gab eine Zeit, in der die Menschheit ganz offen war. Sie kennen alle diese Parabel: Die Menschheit stieg herunter, und sie wird irgendwann wieder aufsteigen. [zeichnet die Parabel auf die Tafel] Denker, wie Jean Gebser, Ortega y Gasset, Huizinga oder Steiner sagen, wir sind schon in dieser aufsteigenden Bewegung, die Menschheit wird geistiger. Was bedeutet geistig? Es bedeutet nicht, dass man die Gesamtausgabe schon mit 6 Jahren auswendig weiß, sondern es bedeutet Offenheit.

Ich will Ihnen berichten, wie ich darauf gekommen bin, auch im Hinblick auf die Behinderten. Es gibt sie in großer Zahl, man könnte sagen, eine große Anzahl verschiedener Arten von Behinderung geht zusammen mit der Offenheit. Wenn Sie das schon von mir gehört haben, verzeihen Sie, dass ich es wiederhole. Ich war das erste Mal vor 22 Jahren in einem Camphill-Dorf in Norwegen, wo Behinderte mit ihren Betreuern familienartig zusammenleben. An einem Sonntag sollte ich einen Vortrag halten, bei dem das ganze Dorf anwesend sein würde. Das habe ich noch nie gemacht, und es hat mich irritiert, dass die Behinderten, die dort Dörfler heißen, auch dabei sein würden. Und ich fragte die Leiterin, – Frau Dr. Margit Engel, vielleicht kennt sie jemand –, wie ist das, wenn die Behinderten bei so einem Vortrag zugegen sind? Sie antwortete: Es ist ganz einfach, wenn der Vortrag gut ist, dann werden sie sehr aufmerksam sein. Das fand ich nicht sehr beruhigend. Jedenfalls begann ich den Vortrag, ich sprach Englisch, und das wurde übersetzt ins Norwegische. Und wie Sie jetzt schon wissen, habe ich die Gewohnheit Scherze einzustreuen, nicht aus pädagogischen Gründen, sondern, weil ich gerne Scherze mache. Es kommt der erste Scherz in Englisch, bevor er übersetzt wird, lautes Lachen im Publikum. Ich sehe nach, wer lacht: die Behinderten. Dann wird es übersetzt ins Norwegische, nun lachen die Mitarbeiter. Ich fragte mich, ob ich bei Sinnen bin? Nach zehn Minuten kam der zweite Scherz mit demselben Ergebnis. Seitdem habe ich das habe sehr oft gemacht, und auch meine Freunde haben das häufig probiert. Diese Behinderten verstehen kein Wort! Weder Englisch, noch Norwegisch, den Gedanken, den Witz verstehen sie nicht. Warum lachen sie? Weil sie hier, [streckt die Hand nach oben] wo meine Finger sind, eine Antenne haben, und diese Antenne sagt ihnen: jetzt kann man lachen. Würden Sie lachen, wenn ich einen Witz auf Ungarisch erzählen würde? Sie würden kaum lachen. Also dieses Phänomen hat mich sehr interessiert, und seitdem habe ich viel darüber gelernt.

Unlängst habe ich in Amerika ein Seminar über die stumme Kommunikation gehalten; sie ist bei diesen Kindern, aber auch bei unseren Kindern, ganz besonders bei Schwerautisten und allen Behinderten, gang und gäbe. In der Schweiz habe ich ein Seminar über Heilpädagogik durchgeführt. Ich habe Mut und habe es nur des Mutes wegen getan. Eine Heilpädagogin brachte ihre schwerautistische Patientin, lieber sage ich Freundin, mit, eine Frau im Alter von etwa 50 Jahren. Sie konnte nicht sprechen, sie konnte aber mit gestützter Kommunikation schreiben. Im Verlauf des Seminars kam es zweimal vor, dass ich vermied, etwas zu sagen, weil diese Autistin anwesend war. Beide Male ergriff sie die Hand ihrer Freundin, und hat sofort mit gestützter Kommunikation aufs Papier gebracht, was ich verschwiegen habe. Wir sind durchsichtig, völlig durchsichtig für die Kinder, für ganz kleine Kinder, für die Kinder, welche die kleinkindlichen Fähigkeiten länger bewahren – vielleicht lebenslang. Für sie sind wir durchsichtig, wir können nichts vortäuschen. Das Schlimmste ist, wenn wir uns z.B. gütiger zeigen wollen, als wir sind. Das führt allenfalls zu der Reaktion: Nicht nur, dass er ein Gauner ist, er will mich auch noch in die Irre führen, er lügt noch dazu.

Bereits seit etwa 200 Jahren gibt es den Begriff der „idiots savants“, also der Idioten, die Fähigkeiten haben – sagen wir es so. Es geht um ganz besondere Fähigkeiten, z.B. im Multiplizieren, oder den Kalender über lange Zeiträume zu überblicken, letzteres ist mir am häufigsten begegnet. Sie fragen, der fünfte Januar im Jahre 611, was für ein Wochentag ist das? Gleich kommt die Antwort: Dienstag. Rechnet man nach, das dauert eine Stunde, bis man da mit den Schaltjahren usw. zurechtkommt, ja, es ist ein Dienstag. Woher weiß er das? Olivier Sax erörtert die Frage: Wenn etwas nicht geht, dann sagen wir, etwas stimmt nicht im Gehirn, ein Defekt im Gehirn. Was stimmt nicht im Gehirn, wenn solche außerordentlichen Fähigkeiten erscheinen? Verstehen Sie die Frage? Er beantwortet sie nicht, Gott sei Dank. Man ist sprachlos, atemlos. Es gibt Menschen, die Primzahlen mit 15 Stellen fühlen können. Wir sind schon bei dreistelligen Zahlen in Verlegenheit. Wenn ich Sie frage, ist 827 eine Primzahl oder nicht? Ich weiß es selber nicht. Aber diese „Idioten“, es gibt solche „Idioten“, die Primzahlen bis zu 14-15 Stellen erkennen. Es gibt auch keinen Algorithmus, das herauszufinden, auch mit guten Computern ist es sehr zeitaufwendig.

Also was ist zu tun? … Drei Schritte sind zu tun: Wir müssen uns zum einen vergegenwärtigen, dass die ganze Palette dieser abweichenden Kinder, von den Sternen-Kindern oder Indigo-Kindern bis hin zu den Schwerautisten, in der Mitte die ADS, ADHD und alle diese Kinder mit den 78 Disorders, einen gemeinsamen Zug aufweisen, der sich jedoch sehr individuell ausgestaltet: ihre Autoperzeption ist mangelhaft, sagen wir einfach: Sie fühlen sich nicht in dem Maße zuhause in ihrem Leib, wie es bei uns der Fall ist. Irgendwie sind wir schon zuhause in unserem Leib. Sie empfinden ihre Leiblichkeit nicht so deutlich, wobei von Viertelstunde zu Viertelstunde, von Tag zu Tag, bei wechselndem Wetter und anderen Einflüssen mit Schwankungen zu rechnen ist.

Das andere ist, aber es hängt damit zusammen, sie sind nicht so abgetrennt von der Umgebung. Ich gebe ein Beispiel für ADS. Man sagt, es mangele ihnen an Aufmerksamkeit. Ich sage, ihre Aufmerksamkeit ist intensiver als beim normalen Kind. Nur ist diese Aufmerksamkeit nicht gerade auf den Lehrer gerichtet, sondern sie umfasst, weil es eine fühlende Aufmerksamkeit ist, – wo Fühlen ist, ist keine Trennung, im Fühlen gibt es keine Dualität – die ganze Klasse, und in der Klasse geschieht immer etwas außer dem, was der Lehrer gerade tut; Sofort ist die Aufmerksamkeit dort, wo etwas geschieht: ein Bleistift fällt zu Boden, ein Vogel fliegt am Fenster vorbei. Diese Kinder haben eine viel genauere und intensivere Aufmerksamkeit, als die sogenannten normalen Kinder, wir wissen aus Erfahrung, dass es so ist. Wenn man das jetzt weiß, dass diese Kinder nicht böse, nicht krank sind, sondern einfach nicht so sind, wie wir – denken Sie an das Goethe-Zitat aus Wilhelm Meister, ist das Wissen natürlich erstmal im Kopf, nützt es dort nicht viel. Aber wenn es heruntersinkt ins Fühlen…. Diese Kinder entwickeln, weil sie andauernd frustriert worden sind, als Abwehr sekundäre und tertiäre Verhaltensweisen, sekundäre Schadens-Schichten, und damit haben wir zu tun. Wenn so ein Kind in der Klasse ist, das ist ungeheuerlich für den Lehrer, für den Pädagogen. Wenn er aber das Wissen im Fühlen hat, dass diese Kinder eine mangelnde Autoperzeption, also Körperempfindung haben, eine mangelnde Abtrennung von der Welt, und deshalb ihre fühlende Aufmerksamkeit ausgeschüttet ist in der ganzen Klasse, wenn der Lehrer das im Herzen hat, dann wird das Kind es bemerken, denn diese Kinder bemerken alles. Ich könnte Ihnen hunderte von Beispielen dazu geben, dass diese Kinder alles wissen über uns.

Der zweite Schritt wurde gestern schon erwähnt. Nämlich herauszufinden, wo die Stärken dieses Kindes liegen. Offenheit bedeutet auch, intuitiv zu sein, fähig zu sein. Wo liegen bei dem Kind die Fähigkeiten, dort muss man anknüpfen. Mit der Pädagogik? … Nein, mit der Freundschaft, mit der Liebe. Dort ist anzusetzen, nicht bei den Defiziten. Wenn ein Kind legasthenisch ist, kommen Sie nicht andauernd mit dem Schreiben, das nützt sowieso nichts, und sowieso wird das Kind irgendwann schreiben lernen. Meine beiden Lieblings-Legastheniker, ich muss das immer erwähnen, sind Yates, der größte irische Dichter, und Flaubert. Beide haben im Alter von 13 Jahren begonnen zu schreiben und zu lesen. Heute ist die Auffassung der Kinderpsychologen, ein Kind sollte im Alter von 3 bis 13 Jahren schreiben und lesen lernen, sie fassen den Zeitraum noch weiter als die Waldorfschule. Yates und Flaubert haben mit 13 Jahren schreiben gelernt, und danach haben sie ganz gut geschrieben! Verstehen Sie? Mit 13 Jahren haben sie begonnen, und was haben sie bis dahin erlitten? Können Sie sich das vorstellen? Damals waren das noch Ausnahmen, es gab noch nicht so viele Legastheniker, sie waren Vorläufer.

Der dritte Schritt wäre dann – es ist ein schwieriger Schritt –, dass wir, Erwachsene, Halberwachsene, das erkennende Fühlen erlernen, das kognitive Fühlen. Es geht nicht um Emotionen, sondern um Fühlen. Wie die frühen Völker gefühlt haben, wie man baut, wie man Heilstoffe findet, welches Heilverfahren einschlägig ist. Glauben Sie nicht, dass die Akkupunktur durch „trial and error“ entwickelt wurde, man sticht solange, bis die richtigen Punkte gefunden sind. Der Patient hätte schon längst Hasenschuhe angezogen. Auch hat man nicht zwanzig Mal probiert, das Taj Mahal zu errichten, und beim 21. Mal ist es gelungen. So war es nicht, man hat gefühlt, wie zu bauen ist. Auch die gotischen Kathedralen wurden nicht vorab berechnet. Die Bauweise beruhte auf erkennendem Fühlen.

Das erkennende Fühlen ist die einzige Möglichkeit, einen Menschen zu erkennen. Es geht nicht mit dem Denken, nicht mit gewöhnlichem Beobachten. Jeder hat seinen Stil, einen Lebensstil, und der kann nur gefühlt werden. Wie auch ein musikalischer Stil nur gefühlt werden kann. Die Musik ist mir sehr nahe, ich erkenne mindestens 50 Komponisten an ihrem Stil. Ich brauche nur einen Takt zu hören und weiß, um wen es sich handelt. Wenn Sie mich fragen, woran erkennst du es, ich habe keine Worte dafür. Nicht nur ich nicht, sondern auch Musikologen können es nicht erklären, woran sie Mozart erkennen. Warum nicht? Weil sie den Stil eines Komponisten nicht mit dem Denken erkennen, sondern mit dem Fühlen. Ich habe ein Mozart-Gefühl, ein Beethoven-Gefühl, oder ein Bartók-Gefühl. Aber ich kann Ihnen nicht beschreiben, worin es besteht, weil es nicht im Denken geschieht. Für das Fühlen haben wir keine Worte.

Das erkennende Fühlen zu erlernen ist ein schwieriger Schritt … so schwierig jedoch auch wieder nicht, diese Kinder haben es schon. Deshalb sind wir durchsichtig, sind wir der größte Schock für sie. Wir sind das Ur-Trauma dieser Kinder, nicht die Geburt. Es muss einmal klar sein, dass es mit uns zu tun hat. Die Botschaft lautet: Ändere dich, du musst dein Leben ändern – nicht nur einmal, täglich, in jeder Stunde. Du musst dein Leben ändern. Das ist die Botschaft, die diese Kinder, alle Kinder, die ganze Palette bis zu den Schwerautisten uns bringen: Ändere dich! Es geht um eine Metanoia. Dieses Sich-Ändern, das ist ein Übungsweg. Ich will jetzt nicht anführen, wo Sie die Beschreibung dieses Wegs finden können. Wenn Sie wollen, werden Sie es herausfinden.

Abschließend möchte ich, wie bereits angekündigt, auf das eingehen, was ich Entlernen genannt habe. Dabei beziehe ich mich auf das Ihnen bereits vorgetragene Zitat des japanischen Philosophen (s. oben). Solange etwas Gelerntes sich noch nicht zum Können, zur Fähigkeit gewandelt hat, ist es wie ein Vorhang, der uns die klare Sicht verhängt. Wir sehen einen Menschen, ein Kind, durch die gelernten Begriffe. Und damit können wir pädagogisch nichts anfangen, woher auch die Begriffe kommen. Ist das verständlich? Wir können den Stil von Mozart nicht mit Worten beschreiben, ebenso wenig das Wesen eines Kindes. Heute weiß die offizielle Mainstream-Kinderpsychologie, dass jedes Kind Individualität ist, von Anfang an. Nehmen Sie Anfang ganz ernst. Nicht erst von Geburt, von Anfang an ist es Individualität. Diese Individualität kann man nur durch das erkennende Fühlen erfassen. Wie man einen Stil fühlt, wie man Musik fühlt. Eine Musik ist nicht in Worte zu übersetzen, ein gutes Gedicht auch nicht. Ein schlechtes Gedicht kann man übersetzen, aber wozu? Ein gutes Gedicht geht nicht von einer Sprache in die andere, weil es nämlich auf Fühlen beruht, an der Grenze zwischen ästhetischem und erkennendem Fühlen. Wenn Sie also Rilke nehmen, seine Dichtung beruht in hohem Maße auf erkennendem Fühlen, man kann sie nicht übersetzen. Man kann nur inspiriert von seinem Gedicht in der anderen Sprache ein gutes Gedicht schreiben. In der Kunst gibt es keine Übersetzung, weil das Fühlen maßgebend ist, und für dieses Fühlen gibt es keine Worte.

Zurück zum Entlernen! Man muss etwas lernen, natürlich, damit man es entlernen kann. Wie kann man das? Man muss sich konzentrieren. Wenn man sich intensiv konzentriert auf etwas, das immer nur ein Vorwand ist, erstarkt die Aufmerksamkeit, der Aufmerksamkeitsstrom. Es ist ein Strom, nichts Statisches. Er erstarkt bis zu dem Grad, dass die Aufmerksamkeit sich erfahren kann, nicht nur das Objekt. Wir erfahren die Aufmerksamkeit gewöhnlicherweise nie als solche. Wie wir etwa eine Farbe erfahren, oder einen Geruch, sondern wir erfahren nur die Objekte der Aufmerksamkeit. Wenn die Aufmerksamkeit intensiv genug wird, kann sie sich erfahren, dadurch wird der leere Raum geschaffen, in dem jetzt eine Inspiration oder Intuition empfangen werden kann. Die Aufmerksamkeit ist dann objektlos, leer und sehr intensiv. Das ist der Innenraum, und da beginnt jetzt das Intuitive. Damit das Intuitive beginnt, darf nichts in der Aufmerksamkeit sein. Wenn ich eine empfangende Gebärde mache, ein Bettler bin … arm zu sein im Geist, bedeutet, eine Aufmerksamkeit zu haben, die leer ist, nichts ist darin, dann kann etwas hereinfallen, einfallen. Sie würden einem Bettler nichts geben, der schon Geld in der Hand hielte und sagen würde: „Geben Sie mir noch etwas dazu!“ Es muss eine Leere da sein, und sie entsteht durch Entlernen. Damit möchte ich Ihre strapazierte Aufmerksamkeit entlassen und wünsche Ihnen gute Übungen.